Coronavirus in Italien: Leben im Sperrgebiet / Tag 18 von 24

Seit ein paar Tagen habe ich einen Facebook-“Freund” weniger. Eigentlich absolut keine Meldung wert, aber in diesem Fall dann schon, denn es hat leider auch viel mit Corona zu tun. Ich erinnere mich noch an die ersten Gespräche hier in Italien. Locker daher gesagte Sachen wie “Mir tun die Chinesen leid, aber am Flughafen achte ich leider schon darauf, ihnen nicht zu nahe zu kommen.” Menschlich mehr als verständlich – gerade dann, wenn man Ängste hat.

Und plötzlich gab es in Italien mehr Fälle als in Wuhan…

Plötzlich waren hier die chinesischen Geschäfte leerer als sonst. Im Einkaufszentrum ist mir das ganz extrem aufgefallen. Sonst eine lange Kassenschlange, dieses Mal niemand im Laden. Dabei ist China mit seinen knapp 1,4 Milliarden Einwohnern riesig. Die meisten Chinesen waren vermutlich noch nie in ihrem Leben in Wuhan. Wochen später hat das Coronavirus Tausende Kilometer weiter weg Italien fest im Griff. Mehr als 8000 Todesfälle (in China waren es offiziell mit Stand vom 26. März 2020, 18 Uhr, 3292 Fälle) und umgerechnet 1333 Fälle auf eine Million Einwohner. Zum Vergleich: In China sind es “nur” 57. Weltweit sind zum Beispiel Luxemburg (2321 Fälle auf eine Million Einwohner), Island (2350 Fälle auf eine Million Einwohner) oder auch die Schweiz (1365 Fälle auf eine Million Einwohner) sogar noch mehr betroffen. Die Verläufe indes bislang insbesondere in Italien schwerwiegend.

Es mag die Verzweiflung sein oder auch einfach Idiotie, doch plötzlich schlägt auf meiner Facebook-Timeline die Stimmung um. Ihr kennt das: Aufgrund der Algorithmen werden einem viele Personen überhaupt nicht angezeigt – und doch war da plötzlich dieser Bekannte aus Rom, der seit nunmehr zehn Jahren in meiner “Freundesliste” ist. Sein Name, dazu einer von vielen Berichten über zahlreiche Infektionen von Skifahrern in Ischgl…

Hunderte Touristen wurden in der Tiroler Wintersportgemeinde infiziert. Kritik an der Vorgangsweise der Tiroler Regierung und Behörden wird lauter.

Gepostet von oe24.at am Montag, 16. März 2020

 

Stimmungsmache gegen “Verursacher”

Die Österreicher und die Deutschen seien Schuld, sie hätten das Virus nach Italien gebracht. Das sollten sie büßen. Dann, wenn sie wieder ins Land kämen, dann sollten sie zusätzlich zur Touristensteuer ordentlich zahlen. Man muss dazu sagen, dass dieser Bekannt in Rom mehrere Zimmer vermietet – vorrangig über mehrere Monate an Studenten (auch an Erasmus-Studenten). Seine Stimmung – man liest es raus – geladen. Unter seinem Post ein paar vereinzelte Gefällt-Mir-Angaben und wütende Gesichter (ob es nun an Ischgl oder seinem Post liegt, nicht auszumachen).

Ich weiß: weiterscrollen und nicht drüber ärgern. Aber doch: Ich kommentiere. Schreibe, dass man aufpassen müsse, dass das Coronavirus nun nicht auch noch Fremdenhass schüre. Doch genau das ist bei ihm längst erreicht. Obwohl er an Ausländer vermietet, obwohl er mit Ausländern wie mir “befreundet” ist: Deutschland sei an vielem Schuld, hätte Griechenland zerstört… Die anderen Details erspare ich Euch. Nur so viel: Er holt bis hin zum Dritten Reich aus – und ich klicke auf “löschen”. Doch die Angst und die Bedenken bleiben. Und was nun? Was wird passieren, wenn das alles vorbei ist? Ich habe das nicht das erste Mal beobachtet. Schuldzuweisungen gab es von verschiedenen (glücklicherweise vereinzelten) Nationalitäten. Die minderjährige Tochter einer Erzieherin meiner Tochter, die derzeit in Australien ein Highschool-Jahr absolviert wurde dort von Mitschülern mit gemeinen Worten (auch die hier nicht im Detail) angeschuldigt, “Krankheiten zu verbreiten”. Und ich bin derzeit auf viel gefasst: “Lockere” Sprüche in Richtung “Ihr habt hoffentlich nichts mitgebracht” bis hin zu Tiraden wie die meines ehemaligen Facebook-“Freundes”.

Einige von Euch haben es vielleicht schon gesehen: Den Facebook-Post, den ich vor ein paar Tagen veröffentlicht habe und den ich so wichtig finde, dass ich ihn hier noch einmal poste. Per Klick auf den Facebook-Beitrag könnt Ihr ihn übrigens auch ganz einfach öffnen und auf Eurer Pinnwand teilen…

??❤️??❤️??❤️?? Passt bitte alle auf, dass das Thema #Coronavirus nicht in Fremdenfeindlichkeit umschlägt.Es geht nicht…

Gepostet von Coronavirus in Italien am Montag, 23. März 2020

 

Worauf wir alle achten sollten… 

❤️❤️❤️Passt bitte alle auf, dass das Thema #Coronavirus nicht in Fremdenfeindlichkeit umschlägt.

Es geht nicht darum, in welchem Land das Virus erstmals aufgetreten ist und von wo aus es sich verbreitet hat.

Es geht auch nicht darum, wer sich wo angesteckt und bei wem das Virus unwissentlich im Gepäck mitgereist ist.

Es sind in vielen Ländern Entscheidungen getroffen worden, die möglicherweise falsch waren, die die weitere Ausbreitung erst ermöglicht haben oder die dafür sorgen, dass weitere Menschen um ihre Gesundheit und/oder Existenz bangen müssen. Vielleicht kamen diese Entscheidungen zu spät, vielleicht waren sie nicht durchdacht, vielleicht liegt es auch einfach daran, dass Menschen Fehler machen und nicht alles vorhersehen und dementsprechend richtig handeln können.

Es ist normal, dass wir Angst haben. Und wir wissen alle, dass es einige Nationen gibt, die momentan stärker betroffen sind als andere. Es kann aber nicht sein, dass Angehörige dieser Nationen oder aber Personen, die vielleicht aufgrund ihres Aussehens mit diesen Regionen in Verbindung gebracht werden, von anderen als mögliche Virusträger geächtet und abweisend behandelt werden.

Es sind Grenzen geschlossen worden, intensivere Kontrollen eingeführt worden und um die weitere Ausbreitung zu verhindern, müssen Sicherheitsabstände zu anderen Personen eingehalten werden. Aber Schranken in den Köpfen braucht man nicht noch zusätzlich.

Dummheit und Ignoranz gibt es überall, das hat nichts mit dem Wohnort oder dem Pass zu tun. Es gibt viele Leute, die sich an die Ausgangssperren halten, aber auch viele, die die Regeln locker auslegen, sie missachten, gar Widerstand gegen Staatsbedienstete leisten. Nicht, weil sie einer bestimmten Nation angehören, sondern weil sie einfach unbelehrbare Egoisten sind, keine Verantwortung übernehmen wollen und sie dieses Virus entweder weiterhin unterschätzen oder es ihnen schlichtweg egal ist, wie es ihren Mitmenschen geht, wen sie vielleicht schützen könnten.

Und lasst uns das ganz genau darauf reduzieren: Das sind Idioten. Und die gibt es leider überall – weltweit. Ebenso wie diejenigen, die eine Situation wie diese nutzen, um Fremdenhass zu schüren, ihren eigenen Frust an anderen auszulassen und andere aufzustacheln… Die gab es vor Ausbruch des Coronavirus, die zeigen sich jetzt und die werden auch danach ihr Gift verbreiten. Weil sie denken, jetzt noch einen weiteren Grund zu haben. Aber den haben sie nicht. Es sind und bleiben einfach Idioten… ?

 

???<3

Gepostet von Coronavirus in Italien am Montag, 23. März 2020

27. März 2020: Die Zahlen des Tages

Diese Zahlen gab der Zivilschutz am heutigen Abend bekannt:

  • 969 Tote (257 mehr Tote als gestern, 9184 Tote insgesamt)
  • 5909 neue Coronafälle (ca. 300 weniger als gestern, jetzt insgesamt 86.498 Infektionen)
  • 10950 Personen gelten als geheilt (das sind etwa 600 Personen mehr als gestern)
  • 66.414 Personen sind aktuell erkrankt, 3732 davon befinden sich in einem kritischem Zustand

Situation bei uns in den Marken

In den vergangenen 24 Stunden sind in den Marken 82 weitere Personen positiv getestet worden. Bislang wurden damit 3196 Personen in den Marken positiv getestet (davon sind 336 Personen im Alter zwischen 27 und 97 Jahren verstorben, 10 Personen gelten in den Marken als genesen).

Umgerechnet auf die Gesamtbevölkerungszahl in den Marken von 1.525.271 Personen beträgt das Ansteckungsrisiko derzeit 1: 476. 6368 Personen befinden sich in häuslicher Isolation/Quarantäne, davon zeigen 1562 Personen aktuell Symptome. Aufgrund der vermutlich hohen Dunkelziffer oder der noch nicht getesteten Personen sowie der langen Inkubationszeit ist das tatsächlich Ansteckungsrisiko wahrscheinlich sehr viel höher. In Relation zur Gesamtbevölkerung sind die Marken die Region, die es bislang am zweitschlimmsten getroffen hat.

Ihr könnt diese Seite natürlich auch ganz einfach teilen, falls Ihr Freunde oder Bekannte habt, die sich für die Situation in Italien interessieren. Passt auf Euch auf! <3

Gepostet von Coronavirus in Italien am Samstag, 14. März 2020

Geburtstag und Ausgangssperre. Gefeiert wird heute mit der Familie zu Hause. (Foto: Nadine Jansen)

Unsere Situation zu Hause / Tag 18 von 24

Heute ist ein spezieller Tag: Mein Mann hat Geburtstag. Eigentlich wollte ich ihn mit einer Feier überraschen. So wird der Tag anders als erwartet und irgendwie auch so wie die Tage zuvor: Es gibt Torte (wir hatten noch eine im Gefrierfach), heute Abend zur Feier des Tages Tiefkühlpizza (Pizzateig gab es im Geschäft nicht mehr, als wir zuletzt einkaufen waren. Die Geschenke habe ich übers Netz bestellt, eins hatte ich schon Wochen zuvor bestellt. Die Geschenke sind nicht nur für ihn. Es gibt einen Basketballkorb (Link) und ein ferngesteuertes Stuntauto und noch eine Kleinigkeit. Geschenke, die auch Zeitvertreib sein sollen.

Und da heute Geburtstag ist (und ich sowieso nicht schlafen konnte), ging der Tag (zumindest für mich) auch früh los:

  • Wäsche waschen und bügeln (glücklicherweise haben wir einen Waschtrockner)
  • Wohnzimmer für ein großes Geburtstagskind herrichten
  • Geschenke einpacken
  • früh morgens meinen Update-Text für die Redaktion in München schreiben
  • diesen Beitrag verfassen
  • aufräumen (macht man irgendwie jeden Tag aufs Neue)
  • Bastelaufgaben vorbereiten
  • Mails und WhatsApp-Nachrichten beantworten
  • Mail-Postfach aufräumen (bekommt Ihr eigentlich auch so extrem viel Spam?)
  • meine Lieblingsserien schauen
  • zur Feier des Tages (danke für den tollen Tipp, Angela!) einen Kino-Abend mit DVD und Popcorn vorbereiten

Ich bin übrigens schon froh, dass das noch ausgeliefert wurde. Amazon hat hier am Wochenende angekündigt, vorrangig nur noch wichtige Artikel auszuliefern…


*****

Was bisher geschah:  

Leben im Sperrgebiet / Tag 1 von 24 (Italien ist jetzt Sperrgebiet)
Leben im Sperrgebiet: Tag 2 von 24 (Und wenn es Euer Opa wäre?)
Leben im Sperrgebiet / Tag 3 von 24 (Große Ansteckungsgefahr oder nicht?)
Leben im Sperrgebiet / Tag 4 von 24 (drohende Versorgungsengpässe, Sonderfall “medizinisches Personal”)
Leben im Sperrgebiet / Tag 5 von 24 (Was man aus der Corona-Geschichte Italiens lernen kann…)
Leben im Sperrgebiet / Tag 6 von 24 (Abläufe und Sicherheit im Supermarkt)
Leben im Sperrgebiet / Tag 7 von 24 (Quarantäne, Betroffene in den Marken, Selbstschutz)
Leben im Sperrgebiet / Tag 8 von 24 (Existenzängste und Einbruch des Tourismus)
Leben im Sperrgebiet / Tag 9 von 24 (Wie funktioniert das jetzt eigentlich mit der Post?)
Leben im Sperrgebiet / Tag 10 von 24 (Todesursachen und Symptome)
Leben im Sperrgebiet / Tag 11 von 24 (Ansteckungsrisiko und Dunkelziffer)
Leben im Sperrgebiet / Tag 12 von 24 (Zahlen des Zivilschutzes: Warum ist die genaue Benennung der Todeszahlen so wichtig?)
Leben im Sperrgebiet / Tag 13 von 24 (Welche Firmen müssen schließen?)
Leben im Sperrgebiet / Tag 14 von 24 (Hilfe aus aller Welt)
Leben im Sperrgebiet / Tag 16 von 24 (Situation in den Krankenhäusern / Patienten in kritischem Zustand)
Leben im Sperrgebiet / Tag 18 von 24 (Leben im Wandel / Situation in Ancona)
Vorsichtsmaßnahmen im Supermarkt

Die Berichte rund um Corona veröffentlichen wir vorrangig in unserer Rubrik Blick ins Ausland. Dort könnt Ihr auch einen Beitrag über die Situation in Belgien lesen. Ihr wollt über Corona derzeit nichts hören oder aber braucht Ablenkung, weil Ihr in Quarantäne sitzt? Dann stöbert doch einmal in unserer Rubrik Spielzeug & Bücher.

Nadine
Über Nadine 313 Artikel
Nadine - Freie Journalistin, Redakteurin sowie Geprüfte Übersetzerin für Italienisch - und Mama einer zweijährigen Kitamaus, die das Leben ganz schön spannend macht.

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