Coronavirus: Leben im Sperrgebiet / Tag 5 von 24

Man schaut nach Deutschland und hat eine böse Ahnung von dem, was da noch kommen wird. Deutschland hängt etwa zwei Wochen hinterher. Die Anzahl der Coronavirus-Fälle verdoppelt sich in den meisten Ländern alle 6 bis 7 Tage. Deutschland hat derzeit knapp 4000 Fälle. Macht um die 8000 Fälle in einer Woche und 16.000 Fälle in zwei Wochen. In zwei Wochen werden meine Familie, meine Freunde und Kollegen in Deutschland also vermutlich in der Situation stecken, in der wir uns hier befinden.

Der Blick über die Grenze

Nur, dass die meisten es leider noch nicht begriffen haben. Das, was in Italien und China passiert ist oder sich gerade auch ganz extrem im Iran zuträgt, ist längst kein chinesisches, italienisches oder iranisches Problem mehr. Es betrifft uns alle. Und doch scheinen in Deutschland viele nicht über die Grenze zu schauen. Es wird über das Absagen von Veranstaltungen gemeckert, Eltern schleppen ihre Kinder statt in Kindergarten und Schule jetzt ins Schwimmbad oder auf den Indoor-Spielplatz oder aber organisieren private Kinderbetreuungs-Gruppen.

Und wieder andere werden ihre Familie packen und in die noch weniger betroffenen Gebiete in die Niederlande oder an die Nordsee flüchten. Um einmal tief Luft zu holen, um weit weg von der Gefahr zu sein. Ganz so, wie es hier viele gemacht haben, die aus den besonders betroffenen Gebieten im Norden zur Verwandtschaft oder in Ferienhäuser in den Süden geflüchtet sind, zu günstigen Bedingungen in Südtirol Skifahren wollten oder zu Tausenden nach Sardinien aufgebrochen sind. – Und einige von ihnen haben und hatten das Virus längst im Gepäck…

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{UPDATED March 13th} Data Visualization showing you the total confirmed COVID-19 Cases per country up until March 13th.#Covid_19 #COVID19 #covid19Canada #COVID #CoronaOutbreak #coronapocalypse

Gepostet von Worldwide Engineering am Freitag, 13. März 2020

Die Geschichte wiederholt sich

Statt aus Italien zu lernen, wird in Deutschland weiter überlegt und abgewartet. Und noch etwas überlegt. Vielleicht sind die Leute ja von sich aus vernünftig und passen besser auf? Nein, das werden sie nicht! Zumindest nicht in dem Umfang, der erforderlich wäre, um die Ausbreitung des Coronavirus möglichst schnell und effektiv einzudämmen. Das erinnert mich an einen Text, den ich vor einer Woche geschrieben habe – also bevor Italien zum Sperrgebiet wurde. Und zu einem Zeitpunkt, an dem es außer Schulschließungen in den meisten Landesteilen noch keine weiteren Einschränkungen gab:

Was ich durch Corona in Italien gelernt habe… ?

? Der Staat schließt die Schulen, Kindergärten und Universitäten, damit man endlich viel Zeit für Einkaufszentren, einen günstigen Skiurlaub und Treffen mit Freunden in überfüllten Restaurants hat.
? Schwimmbad ist als mögliche Infektionsquelle ausgeschlossen, da gibt es ja Chlor.
? Ähnlich wie bei Masern-Partys: Es muss einfach mal alles durchseucht sein, dann sind alle immun.
? Das Virus ist wohl vor allem vormittags und unter der Woche aktiv. Deshalb kann man ruhigen Gewissens abends ausgehen und am Sonntag das Restaurant besuchen.

? Ein Meter Sicherheitsabstand? Aber doch nicht mit Leuten, die man kennt. Die können es ja gar nicht haben.

? Wichtig ist, dass man genau JETZT die italienische Wirtschaft ankurbelt und besonders viel Geld in Einkaufszentren ausgibt. Eigentlich ist das Virus auch nur eine Erfindung, um der italienischen Wirtschaft zu schaden.
? Im Notfall reichen Toilettenpapier und Nudeln, um zu überleben.
? Selfies mit anderen zu machen und dazu zu schreiben: “Coronavirus, wir fürchten dich nicht” schreckt das Virus ab.
? Sperrzonen einzurichten, ermöglicht es, endlich mal wieder Urlaub bei Verwandten im Süden zu machen. Muss ja keiner wissen…

? Aus Protest gerade jetzt viel Nähe zu anderen Menschen zu suchen und auf Großveranstaltungen zu gehen, zeigt dem Virus eindeutig, wer hier eigentlich das Sagen hat. Genau so wird es sich auf den Rückzug begeben.
? Wer sich besonders über das Virus und die teils drastischen Maßnahmen lustig macht, ist immun und bekommt allerhöchstens eins leichte Erkältung. Wenn man es überhaupt merkt…
? Für Fußballstadien, Indoor-Spielplätze, Skipisten, Einkaufszentren und private Feste interessiert sich das Virus nicht und wird dort nicht erscheinen.

Viva l'Italia! ??Ein riesengroßes GRAZIE an alle Ärzte, das Krankenpflegepersonal, Mitarbeiter der Rettungsdienste,…

Gepostet von Coronavirus in Italien am Samstag, 14. März 2020

Tag 5 von 24 – Unser Leben im Sperrgebiet

Noch fällt uns die Decke zu Hause nicht auf den Kopf, aber wir merken erste Einschränkungen (unabhängig davon, dass wir nicht mehr so wie gewohnt nach draußen können…).

  • Unsere Dunstabzugshaube ist kaputt gegangen und eine Nachbarin, die im gleichen Haus wohnt wie wir, hat mit ihrem Auto das sowieso nicht einwandfrei funktionierende Eingangstor gestreift. Jetzt funktioniert es gar nicht mehr. In beiden Fällen hätten wir Techniker angerufen. Jetzt müssen wir vorerst damit leben und abwarten. Denn wann das Leben hier wieder “normal” läuft, weiß hier keiner.
  • In der WhatsApp-Gruppe des Kindergartens äußern erste Mütter die Vermutung, dass das Schuljahr gelaufen sein könnte (auch der Kindergarten wird hier als Schule bzw. “scuola materna” bezeichnet). Das Schuljahr endet im Juni. Gut möglich, dass sie mit ihrer Meinung recht behalten wird.
  • Aufgrund der Situation in Italien höre ich auch immer mehr ehemalige Kollegen. Gleich zwei weitere Berichte sollen noch am Montag in der Zeitung erscheinen. Der lokale Radiosender bittet ebenfalls darum, weiter in Kontakt zu bleiben.
  • Mich erreichen immer mehr Nachrichten aus Deutschland. Viele wollen wissen, was sie jetzt tun könnten. Und andere schreiben einfach nur, um auszudrücken, dass sie an uns denken und ganz viele gute Wünsche schicken. Freunde von früher sind dabei, die ich im Laufe der Jahre und durch den Umzug nach Italien leider etwas aus den Augen verloren habe, aber auch Kollegen und natürlich Personen, die in all den Jahren immer eine wichtige Rolle gespielt haben. Mein Patenonkel zum Beispiel. Der aber musste seine Reise zu uns in die Marken bereits absagen. Und auch meine Eltern werden Ende April vermutlich nicht kommen können. Wir glauben kaum, dass man schon in sechs Wochen in Europa wieder unbedarft und risikofrei reisen kann. Wenn denn die Grenzen und die Einreisebestimmungen dann überhaupt wieder offen bzw. gelockert sind.
  • Eine ehemalige Erzieherin meiner Tochter hat uns ein Video geschickt und extra ein Buch vorgelesen. Wenn schon das gemeinsame Spiel und die Umarmungen ausbleiben, dann ist allein die gewohnte Stimme schon so viel wert. ?
  • Wir haben mit den Kindergarten-Hausaufgaben angefangen. Objekte müssen den entsprechenden Zahlen zugeordnet werden. Zahlenbereich 1 bis 10. Yeah, das haben wir (okay, eigentlich war es die Maus ganz alleine – ?) problemlos erledigen können.

Ihr könnt diese Seite natürlich auch ganz einfach teilen, falls Ihr Freunde oder Bekannte habt, die sich für die Situation in Italien interessieren. Passt auf Euch auf! <3

Gepostet von Coronavirus in Italien am Samstag, 14. März 2020

Was bisher geschah:  

Leben im Sperrgebiet / Tag 1 von 24
Leben im Sperrgebiet: Tag 2 von 24
Leben im Sperrgebiet / Tag 3 von 24
Leben im Sperrgebiet / Tag 4 von 25
Vorsichtsmaßnahmen im Supermarkt

Coronavirus: Die Zahlen vom Abend

Kurz nach 18 Uhr, Pressekonferenz des Zivilschutzes – auch heute sitzen wir natürlich wieder vor dem Fernseher:

  • 175 Tote
  • 3497 neue Coronafälle
  • Gesamtanzahl der Fälle in Italien: 21.157. Davon gelten 1966 Personen als geheilt, 1441 Personen sind verstorben.

Situation in den Marken: 174 zusätzliche Fälle seit gestern, die Zahlen hier steigen weiter – und das erheblich. Macht insgesamt 899 Fälle in unserer kleinen Region mit nur etwas mehr als anderthalb Millionen Einwohnern. Die Wahrscheinlichkeit, irgendwann auch von Corona betroffen zu sein, liegt derzeit bei 1:1697.

Nachricht vom Abend: Zehn dieser Personen sind verstorben.

Die Berichte rund um Corona veröffentlichen wir vorrangig in unserer Rubrik Blick ins Ausland. Dort könnt Ihr auch einen Beitrag über die Situation in Belgien lesen. Ihr wollt über Corona derzeit nichts hören oder aber braucht Ablenkung, weil Ihr in Quarantäne sitzt? Dann stöbert doch einmal in unserer Rubrik Spielzeug & Bücher.

Das hier habe ich übrigens heute bestellt…

(wenn man schon zu Hause sitzt, kann man natürlich auch etwas basteln – *Amazon Link)

Nadine
Über Nadine 313 Artikel
Nadine - Freie Journalistin, Redakteurin sowie Geprüfte Übersetzerin für Italienisch - und Mama einer zweijährigen Kitamaus, die das Leben ganz schön spannend macht.

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