Vergleichen unter Eltern: “Mein Kind ist größer als Deins…. na und?”

Der Größenvergleich ihrer Kinder ist für viele Eltern ein Thema. (Foto: dekanaryas / Adobe Stock)

Tom ist gerade drei Jahre alt geworden. Er ist aber bereits mehr als einen Meter groß. “97. Perzentil” hat der Kinderarzt bei der letzten Untersuchung vermerkt. Bedeutet: Nur drei Prozent der Kinder sind in diesem Alter größer als Tom, alle anderen kleiner. In seiner Kindergartengruppe ist Tom damit genauso groß wie die Jungen, die bereits ein Jahr älter sind als er. Aber er denkt und fühlt wie ein Dreijähriger.

Er weint noch viel, wenn seine Mama ihn morgens im Kindergarten abgibt. Er liebt es zu kuscheln. Spielt gerne mit Autos und mit seinem Teddybären – und er hält sich beim Raufen mit den großen Jungs noch lieber zurück. Seine äußere Erscheinung weicht von dem ab, was er bereits kann.

Von größeren Kindern wird oft mehr erwartet

Wenn er beim Abschied weint, wird er im Gegensatz zu körperlich kleineren Kindern schief angeguckt. “Du bist doch schon groß”, zwitschert ihm eine Mama zuckersüß zu.  Und dann leicht vorwurfsvoll: “Da weint man doch nicht mehr.” Warum aber sollte Tom nur aufhören zu weinen, weil er ein paar Zentimeter größer ist als Gleichaltrige?

“Tom” ist nicht der richtige Name des Kindes. Tom heißt eigentlich anders. Tom steht aber für viele Kinder, denen es ähnlich geht. Und deren Eltern sind genervt. Was bitte sagt die Größe über ein Kind aus? Warum sollen größere Kinder besonders taff sein? Und warum können die anderen Eltern nicht einfach die Klappe halten? Muss denn wirklich in jedem Gespräch die Größe des Kindes thematisiert werden?

Wegen der Körpergröße überschätzt

Tom bekommt immer nur zu hören, wie groß er doch schon ist. Und was er alles nicht kann und mag: Er rennt (noch nicht) so schnell wie andere Kinder, er ist motorisch nicht so weit wie andere Kinder in seiner Größe, er hängt noch besonders an der Mama und braucht besonders lange für die Eingewöhnung. Er war eben noch nie längere Zeit von seiner Mama getrennt. So wie viele andere Kinder in seinem Alter auch nicht. Doch Tom ist eben groß – und wird deswegen überschätzt.

Niemand erwähnt hingegen, was er schon kann: Dass er unheimlich gut spricht, immer artig “bitte” und “danke” sagt und auch nicht, dass er so ein unfassbar süßes Lächeln hat, dass er im Kiosk fast immer eine Kleinigkeit geschenkt bekommt. Dort fragt niemand nach seinem Alter. Möglich, dass man ihn auch hier für älter hält. Doch warum geht es in einem Kindergarten so sehr ums Vergleichen? “Mein Kind kann schon… Deins noch nicht” – als ob die Glückseligkeit einiger Eltern davon abhängen würde zu sehen, dass das eigene Kind besser ist, niedlicher, höflicher. Ist es das nicht, wird das nicht weiter thematisiert. Aber wehe, es ist größer.

Sprüche anderer Eltern nerven oft

“Wie groß und schwer ist dein Kind denn jetzt?” wird Toms Mutter regelmäßig gefragt. Auch von Fremden. Geduldig antwortet sie. Sie ist aber auch zunehmend genervt. Die Antwort kennt sie schon. Sie weiß genau, was jetzt kommt: “Boah, der ist aber ganz schön groß.” “Was? So groß schon?” Dabei ist sie auch selbst groß und Toms Vater ebenfalls. So wie Toms Mutter geht es vielen Müttern, die großgewachsene Kinder haben.

“Leidiges Thema” sagt Toms Mutter. “Es gibt halt kleinere Kinder, größere Kinder, dickere Kinder, dünnere Kinder; Kinder, die schneller laufen können, die schneller sprechen. Aber ich finde es immer irgendwie befremdlich, dass so viele Dinge an so etwas festgemacht werden.” Man könne Äpfel aber nicht mit Birnen vergleichen: “Es kann nicht jedes Kind gleich groß oder gleich schwer sein.” Dennoch werde es immer wieder zum Thema gemacht. Falle ihr Kind, seien gleich seine langen Beine schuld: “Der läuft aber auch schlaksig.”

Ich selbst bin übrigens 1,78 Meter – für einen Teenager in den 90ern war ich auch riesig. Unvergessen eine Begegnung mit einer anderen Frau und deren Tochter in einem Bekleidungsgeschäft. Die Frau und meine Mutter kannten sich flüchtig. Erst die schnelle Begrüßung, dann die Bemerkung “Meine Güte, deine Tochter ist aber groß.” Und das, obwohl die Tochter der anderen Frau stark übergewichtig war. “Und deine ist ganz schön fett”, wäre vielleicht eine Antwort auf ähnlichem Niveau gewesen. Doch machen Gewicht und Körpergröße einen Menschen aus? Nein! Und eine Bemerkung über das Gewicht wäre mehr als unfair gewesen. Meine Mutter ärgerte sich und schwieg.

Mein Kind ist größer als Dein Kind…. na und?

Überhaupt schweigen so viele Mütter, deren Kinder einfach besonders groß gewachsen sind. Statt einmal aus der Haut zu fahren und zu sagen: “Mein Kind ist größer als Deins… na und?” Warum überhaupt ist es anderen Eltern so wichtig, ob ein Kind besonders groß ist? Während es im Kindergarten übrigens die großen Kinder sind, die immer wieder auf ihre Größe reduziert werden, haben große Jungs im Erwachsenenalter meist keine Probleme mehr damit. Da sind des dann die kleinen Männer, die aufgrund ihrer Körpergröße unterschätzt werden. Nicht repräsentativ genug, nicht durchsetzungsfähig. Warum? Weil sie vielleicht einen halben oder gar einen ganzen Kopf kleiner sind als die anderen?

“Wichtig ist doch einfach nur, dass es einem Kind gut geht und es sich gut entwickelt und alles läuft und funktioniert”, sagt Toms Mutter. Vergleichen sei nicht schön, man könne es eh nicht ändern. “Manchmal wirkt das auf mich fast wie ein Statussymbol: Wie groß unser Kind ist, welche Schuhgröße unser Kind hat. Als ob das wichtig wäre…”

Was sich Mütter von großen Kindern wünschen, ist, dass andere Eltern, Freunde oder Verwandte endlich das Kind sehen und nicht nur die Körpergröße. Denn in dieser äußeren Hülle, da steckt teils ein besonders kleines, junges, noch unsicheres Kind. Eins, das in den Arm genommen werden will, wenn es weint. Auch wenn es etwas größer und vielleicht etwas schwerer ist. Eins, das Anerkennung möchte. Eins, das genauso gelobt werden will, wie körperlich kleinere Kinder. Und ein Kind, dem zugestanden werden sollte, einfach nur drei Jahre alt zu sein – ganz unabhängig davon, wie groß es ist und welche Schuh- oder Kleidergröße es trägt…

Noch mehr über Kitakinder gibt es hier zu lesen:

 

Nadine
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Nadine - Freie Journalistin, Redakteurin sowie Geprüfte Übersetzerin für Italienisch - und Mama einer zweijährigen Kitamaus, die das Leben ganz schön spannend macht.

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