Geh nicht mit Fremden mit! Lass Dich nicht von fremden Männern ansprechen! Nimm von Fremden keine Süßigkeiten an! Wir alle warnen unsere Kinder – nur nicht vor anderen Kindern! Doch auch die können eine potenzielle Gefahr sein. Eines hat jetzt versucht, mein Kind ganz gezielt und möglichst schnell vom Spielplatz zu locken. Ein Spiel oder doch Absicht?
Die merkwürdige Situation auf dem Spielplatz
Gestern, Spielplatz. Eine Freundin und ich, unsere Kinder. Beide vier Jahre alt. Die beiden spielen gemeinsam, klettern, rutschen. Meine Freundin und ich stehen irgendwo zwischen den Spielgeräten und quatschen. Das ältere Kind (im Grundschulalter), das mit einer Frau auf der Parkbank sitzt, bemerke ich nur am Rande. Die Frau spricht gelegentlich in ein Headset, fuchtelt mit ihrem Handy herum, ihr Blick schweift über den Spielplatz.
Minuten später steht das Kind bei meiner Tochter. Das andere Mädchen ist einen guten Kopf größer. “Spielen wir miteinander?” “Wie heißt du? Sag mir deinen Namen!” Zaghaftes Zurückweichen. Das Kind greift nach der Hand meiner Tochter, die wiederum zieht sie zunächst zurück. Sie und ihr Spielkamerad wollten gerade zur Wippe. Hier machen wir Erwachsenen vielleicht einen Fehler: Wir merken, dass unsere Kinder kein Interesse haben, ermutigen sie aber dennoch, doch zu dritt zu spielen – auch wenn das ältere Mädchen eigentlich nur mit meiner Tochter spielen will. “Rutscht doch alle zusammen!”, “Natürlich könnt Ihr zusammen spielen.”
Wir haben das andere Kind noch nie auf diesem Spielplatz gesehen, aber wer kennt schon alle Kinder? Und gerade in der Ferienzeit sind auch so viele Kinder woanders zu Besuch. Waren wir früher auch – bei unseren Großeltern, bei Onkel und Tante, bei Freunden der Familie.
Das ältere Kind will nicht rutschen. Es will auch nicht schaukeln. Es will verstecken spielen. Und es beharrt darauf – bis die beiden Kleinen mitmachen.
Verstecken auf dem Spielplatz
Mögliche Verstecke gibt es auf dem Spielplatz nicht viele. Dafür aber muss man ihn genau beschreiben: Dieser Spielplatz liegt in einem Wohngebiet in einem kleineren Ort. Er ist komplett umzäunt. Mit einem mehreren Meter hohen Maschendrahtzaun. Von der Straße somit sehr gut einsehbar und für Kinder sehr sicher. Hier fliegt kein Ball auf die Straße, hier rennt kein Kind mal eben auf die Fahrbahn. Der Eingangsbereich ist vielleicht einen guten Meter breit, geht direkt vom Bürgersteig ab. Von dort geht es zunächst auf eine größere Betonfläche, die zum Inline-Skaten einlädt – ohne jegliche Art von Hindernis. Im hinteren Bereich der eigentliche Spielplatz mit ein paar betonierten Wegen (zum Fahren mit Rad und Bobbycar), dazu Rutschen, Schaukeln, eine Wippe, Wipptiere, ein Kletterturm und ein paar vereinzelte Sitzbänke. Die, auf der die Frau mit dem Kind sitzt, befindet sich in unmittelbarer Nähe zum Notausgang.
Das wird ein kurzes Versteckspiel, das ist klar. Immerhin gibt es nur auf dem eigentlichen Spielplatz überhaupt mögliche Verstecke. Zunächst zählt das größere Mädchen, die beiden Kleinen verstecken sich hinter der Rutsche. Dann meine Tochter. Als ihr Spielkamerad dran ist, sind meine Freundin und ich kurz abgelenkt – und genau das erweist sich als Fehler.
Ein übertriebenes Spiel oder doch ein mieser Trick?
Wir sind in unser Gespräch vertieft, der Sohn meiner Freundin hat zu Ende gezählt. Er sieht meine Tochter. Sie hat sich (noch) nicht versteckt. Sie hat bereits Hand in Hand mit dem größeren Mädchen den eigentlichen Spielplatz verlassen. Das ältere Mädchen rennt, zieht meine Tochter mit. Sie hat sie längst auf die Betonfläche gezogen, rennt immer weiter. Ich brülle den Namen meiner Tochter. Einmal, zweimal. Auch meine Freundin hat das Gefühl, dass da etwas nicht stimmt. Die Entfernung ist zu groß. Wir rennen den Kindern hinterher. Wir rufen beide den Namen meiner Tochter, die sich endlich umdreht. Stehen bleibt sie nicht. Denn das andere Kind packt sie nun fest am Handgelenk, beschleunigt, rennt weiter und schleift die Kleine nahezu hinter sich her. Über die Betonfläche, auf den einzigen offiziellen Ausgang zu, vor dem Autos geparkt stehen.
Die anderen Erwachsenen gucken auf uns, auf die Kinder. Es reagiert niemand. Mein Herz schlägt wie wild, ich renne, rufe ebenso wie meine Freundin immer weiter. Nur, weil andere Kinder mit ihren Inline-Skates ebenfalls auf der Betonfläche unterwegs sind, erreiche ich mein Kind, reiße es los. Ich spreche das ältere Mädchen an: “Wo wolltet Ihr hin?” “Nur spielen”, lautet die knappe Antwort. Dann verschwindet das Kind. Die Frau auf der Bank hat sich abgewendet, steht jetzt in unmittelbarer Nähe des Notausganges. Ihr Gesicht ist durch ihre Kleidung halb versteckt. Mein Kind weint.
Mit Absicht vom Spielplatz gelockt?
Doch was war das eigentlich? Ein außer Kontrolle geratenes Spiel? Ein älteres Kind, das einfach nur schnell vom umzäunten Spielplatz möchte, weil sich vielleicht woanders im Ort viel bessere Möglichkeiten zum Verstecken bieten? Orte, an denen man garantiert nicht schnell oder gar nicht gefunden wird?
Oder aber wurde mein Kind ganz gezielt angesprochen? War es von Anfang an Absicht, es vom Spielplatz zu locken? Hin zu den Autos, die sich in unmittelbarer Nähe zum Spielplatz befanden. Nur ein Bürgersteig trennt den Eingang hier von der Fahrbahn. So übermächtig wie noch nie, ist hier auf jeden Fall das Gefühl, dass hier etwas absolut nicht stimmt. Kein Gefühl, das nur mich gepackt hätte, sondern das Gefühl, das auch meine Freundin hatte….
***
Der Spielplatz, um den es hier geht, befindet sich nicht in Deutschland, sondern in Mittelitalien. Nur deshalb ist hier kein konkreter Ort genannt – und auch deshalb nicht, weil es vielleicht wirklich nur ein Spiel war. Sicher sind wir uns da aber nicht. Zu merkwürdig die Situation mit der Frau, die zuvor den Spielplatz abscannte, per Headset kurz sprach. Das Kind, das sich ganz gezielt unserer gerade einmal Vierjährigen näherte und alles daran setzte, die Kleine schnellstmöglich vom Gelände und zum Ausgang zu bringen. Und zu groß auch die Angst, dass alles von Anfang an Absicht war…
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