Vor ein paar Monaten hat mich eine neue Leidenschaft gepackt: das Jagen. Der Nervenkitzel dabei ist herrlich: Erst die etwas bange Frage „Ist die Beute noch in ihrem Versteck?“ Dann das Heranpirschen, Zupacken und das Erfolgserlebnis: „Hurra! Gefangen! Meins!“ Oder aber eine Enttäuschung: „Ich bin zu spät gekommen. Schade“. Wobei Schade noch der harmloseste Gedanke ist, der einem in solchen Momenten durch den Kopf geht. Meine Jagdobjekte? Bücher.
Bücherjäger auf der Pirsch
Glücklicherweise sind wilde Bücher im belgischen Flandern keine aussterbende Gattung. Im Gegenteil. Jede Woche kommen neue „Jäger“, die wie ich zufällig über ein verstecktes Buch gestolpert sind, zur Facebook-Gruppe „Boekenjagers“ (zu Deutsch Bücherjäger) hinzu. Über diese Gruppe wird das Versteck- und Suchspiel quasi organisiert. Hier findet man kryptische Hinweise auf Verstecke von Büchern oder auch Fotos von den Orten, an denen sich Bücher verstecken. Und dann heißt es schnell sein, bevor jemand anderes einem das Buch vor der Nase wegschnappt.Das alles macht riesig viel Spaß.
Nur kann ich meine Leidenschaft noch nicht mit unserem quirligen Zweijährigen teilen. Beim Aufspüren des Buches muss ich ja zugleich unseren Sprössling im Auge behalten. Einen Sack Flöhe hüten ist damit verglichen einfach. Da kann ich noch so sehr versuchen, Spannung aufzubauen und begeistert rufen: „Benedict, ist das nicht aufregend? Schau, da ist das Buch. Ist das nicht toll?“ Er brabbelt ebenso begeistert etwas vor sich hin und saust auf seinen kurzen Beinchen in die Gegenrichtung davon. Dorthin, wo meist ein extrem spannender Teich oder eine äußerst interessantere Straße ist.
Ein Kleinkind als Tarnung funktioniert nur schlecht
Auch das Buchverstecken mit einem Kleinkind ist eine Herausforderung. Wie ein Spion schleiche ich mich an den auserkorenen Versteckplatz heran, schaue mich um, ob mich auch keiner sieht und lasse hektisch das Buch zurück. Geschafft, denke ich noch im Weggehen. Da kommt unser Kurzer hinter mir her, brüllt „Mama“ und fuchtelt begeistert mit dem Buch herum. Ein Kleinkind als Tarnung funktioniert also nur mittelmäßig bis schlecht beim Droppen, wie man das Buchverstecken unter Bücherjägern nennt.„So können wir andere glücklich machen“
Etwas ältere Kinder zu haben, kann dagegen sehr praktisch bei der Versteckaktion sein. Denn dann kann man selbst Schmiere stehen und aufpassen, dass niemand guckt, während das Kind ganz unauffällig das Buch droppt. Und die Kids haben offenbar einen Heidenspaß daran. „Meine zehnjährige Tochter findet es superspannend, Bücher zu verstecken“, erzählt Bücherjägerin Wendy. „Sie schaut sich dabei immer um, ob grad jemand vorbeikommt oder nicht – denn Bücher muss man ja heimlich verstecken.“ Gefragt, was ihr am Verstecken am besten gefällt, antwortet die Zehnjährige: „Das sind alles Bücher, die wir schon gelesen haben. Und so können wir jemand anderen damit glücklich machen.“
Die Jagd ist der spannendste Teil…
Noch aufregender findet die Zehnjährige aber die Jagd. „Sie springt dann vom Fahrrad beziehungsweise aus dem Auto und macht sich hastig auf die Suche. Während ich schon längst gesehen habe, ob das Buch noch dort liegt, wo es liegen soll, oder bereits weg ist“, sagt Wendy und kann ein Schmunzeln nicht unterdrücken. „Es ist so schön, sie suchen zu sehen.“
Die beiden kleinen Töchter von Véronique sind zwar erst drei und sechs Jahre alt, aber ebenfalls schon mit dem Bücherjäger-Virus infiziert. „Für sie ist es aber keine Bücherjagd, sondern eine Schatzsuche“, verrät Véronique. „Es ist natürlich fantastisch, wenn sie ihren Schatz auch finden.“ Besonders begeistert seien die beiden Mädchen, wenn sie kein Große-Menschen-Buch finden, sondern ein Eins-für-uns-Buch. Aber auch das Verstecken finden die beiden toll. „Sie fragen dann ständig, ob das Buch schon gefunden ist und wer das Buch gefunden hat“, so Véronique. Leider kann die Mama nicht immer Rede und Antwort stehen, denn nicht jeder zufällige Finder meldet seinen Fund auf der Facebook-Seite.
Echte kleine Jäger sprinten los
Die Bücherjagd ist aber keine reine Mädchensache – auch wenn unter den erwachsenen Bücherjägern die Frauen- die Männerquote weit übersteigt. So scheint der kleine Bart ein passionierter Buchsucher zu sein. „Er ist ein echter Jäger“, sagt Mama Kristel. „Er sprintet sogar oft los, damit er auch ja das Buch in die Finger bekommt.“ Aber Bart lässt gefangene Bücher auch gerne wieder frei. „Wir haben beim Ausflug ans Meer ein Buch gefunden. Er wollte es partout innerhalb von einer Woche auslesen, damit er es wieder verstecken kann“, wie Kristel erzählt. Diese Jagdleidenschaft hat einen schönen Nebeneffekt: „Dank der Bücherjäger liest Bart noch mehr und noch lieber.“
Schulklassen auf Bücherjagd
Mittlerweile begeben sich sogar ganze Schulklassen auf die Jagd nach Büchern. Unter anderem eine 1. Klasse der Heilig Hartschool in Sint-Niklaas, einer Stadt in der belgischen Provinz Ostflandern. Das kommt nicht von ungefähr. Denn Bücherjägerin Véronique ist an dieser Schule Lehrerin. „Der Anstoß zu diesem Projekt kam aber von Wendy“, betont sie. Lustigerweise sind sich Véronique und Wendy noch nie begegnet. Sie würden sich nur über die Facebook-Gruppe kennen, wie Wendy belustig sagt.
„Ende Juni hat Wendy während der Mittagspause 30 Bücher in der Umgebung unserer Schule versteckt – allesamt Kinderbücher“, erzählt Véronique. Am Nachmittag hätten sich die Kinder auf die Jagd nach den Büchern gemacht. Bis auf ein Buch hätten sie auch alle gefunden. Das eine sei vermutlich durch einen zufällig vorbeikommenden Passanten mitgenommen worden.
„Es war eine fantastische Aktion!“, sagt Véronique begeistert. „Die Kinder waren so glücklich mit den gefundenen Büchern. Sie wen alle auf Wolke sieben.“ Die Bücherjagd ist aber nicht nur bei den Grundschülern gut angekommen. Auch etliche Eltern und Kollegen waren offenbar dermaßen angetan von dieser Suchaktion, dass die Bücherjäger-Gruppe nun viele aktive Mitglieder mehr zählt.
Wie eine andere Schule die Bücherjagd organisiert, könnt Ihr noch in dieser Woche lesen…
So funktioniert die Bücherjagd
Happy Hunting! So lautet der Wahlspruch der flämischen Boekenjagers, der Bücherjäger. Veerle Nijs aus Lokeren hat diese Facebook-Gruppe Ende August 2016 ins Leben gerufen. Vorreiter dieser Gruppe sind die „Chasseurs de livres“ aus dem französischsprachigen Teil Belgiens, aus Wallonien. Angestrebt hatte Nijs eigenen Worten zufolge zu Beginn ein paar hundert Mitglieder. Mittlerweile zählt die Gruppe über 41.300 Mitglieder. Die Gruppe ist aber nicht nur bei Facebook vertreten, sie hat auch ihre eigene Webseite: https://www.boeken-jagers.be/. Das Prinzip der Bücherjagd ist einfach: Man steckt ein Buch in reißfeste Gefrierbeutel und legt ihm ein Bücherjäger-Briefchen bei. Beides ist ein Muss. „Diese Regeln sind in Absprache mit Polizei und Umweltschutzverbänden aufgestellt worden“, sagt Nijs. Das Briefchen ist vor allem nötig, damit jeder weiß, dass das ein „wildes“ Buch ist und mitgenommen werden darf. Danach setzt man das Buch aus, sprich man versteckt es oder legt es sichtbar irgendwo ab. Im Bücherjäger-Jargon wird das Droppen genannt. Auf der Facebook-Seite postet man einen kryptischen Hinweis auf oder ein Foto vom Versteck. Danach heißt es Jagd frei für Bücherjäger. Dank des beigelegten Briefchens weiß auch der zufällige Finder, dass es diese Gruppe gibt und dass er hier seinen Fund melden und der Gruppe beitreten kann. Nach dem Lesen des Findlings lässt man das Buch wieder frei – die Jagd kann aufs Neue beginnen.
Weitere Ideen für Freizeit und Ausflüge gibt es hier: http://kitamaus.de/category/freizeit/
Ihr wollt lieber zu Hause etwas basteln? Dann schaut hier: http://kitamaus.de/category/kreativecke/
Mareike Art schreibt auf lebendige und visuelle Weise, so das der Leser nicht nur Ihre Zeilen verinhaltlicht; Er ist beim suchen in seiner Vorstellung dabei.
Bravo, meine Base, ich bin stolz auf Dich!!!
Dein Andreas